Beim Gedanken an das Thema Erwerbs- und Berufsunfähigkeit sehen viele Beschäftigte, aber auch Selbständige, vor allem schwere Behinderungen als Unfallfolge vor ihrem geistigen Auge auftauchen. In der Praxis lässt sich diese Haltung nicht ohne Weiteres aufrechterhalten. Sucht man nach Zahlen, welche die Ursachen der Berufsunfähigkeit eingehender beleuchten, wird schnell die Fehleinschätzung breiter Bevölkerungsschichten klar.
Es sind schon lange nicht mehr Gesundheitsschäden aus Unfällen, welche die Hauptursache darstellen, sondern Krankheiten und Kräfteverfall. Eine Tatsache, die eigentlich zu einem Umdenken führen müsste.
|
Männer |
Frauen |
Gesamt |
Psyche/Verhaltensstörungen |
32.642
|
40.631
|
73.273
|
Muskel-Skelett-System/Bindegewebe |
13.539
|
11.893
|
25.432
|
Neubildungen (Krebs) |
11.558
|
11.179
|
22.737
|
Krankheiten des Kreislaufsystems |
12.524
|
4.795
|
17.319
|
Krankheiten des Nervensystems |
5.176
|
5.269
|
10.445
|
Krankheiten des Atmungssystems |
3.228
|
1.962
|
5.190
|
Ernährung/Stoffwechselkrankheiten |
2.241
|
1.525
|
3.766
|
Verletzungen/Vergiftungen/andere äußere Ursachen |
2.265
|
1.065
|
3.330
|
Krankheiten des Verdauungssystems |
1.945
|
1.205
|
3.150
|
Sonstige Ursachen* |
7.734
|
6.121
|
13.855
|
Insgesamt |
92.852
|
85.645
|
178.497
|
Übersicht zu den Rentenzugängen wegen Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung (Quelle: Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2011; Tabellen 220.01 Z u. 220.02 Z)
)* – einschließlich Diagnosen, wie infektiöse u. parasitäre Krankheiten, Krankheiten des Blutes, der blutbildenden Organe, Störungen des Immunsystems, Erkrankungen des Auges, des Ohres, der Haut, des Urogenitalsystems usw.
Da zentrale Statistiken zur aktuellen Lage im Bereich der Berufsunfähigkeit fehlen, wird in diesem Zusammenhang auf die Daten zu den Renten wegen Erwerbsminderung der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgegriffen.
Diagnosegruppe
|
Zugang 2010
|
Zugang 2011
|
Männer (Insgesamt: 94.763) |
Frauen (Insgesamt: 85.989) |
Männer (Insgesamt: 92.852) |
Frauen (Insgesamt: 85.645) |
Psyche/Verhaltensstörungen |
33,4 %
|
45,6 %
|
35,2 %
|
47,4 %
|
Muskel-Skelett-System/Bindegewebe |
15,0 %
|
14,3 %
|
14,6 %
|
13,9 %
|
Neubildungen (Krebs) |
13,0 %
|
13,6 %
|
12,4 %
|
13,1 %
|
Krankheiten des Kreislaufsystems |
13,7 %
|
5,9 %
|
13,5 %
|
5,6 %
|
Krankheiten des Nervensystems |
5,8 %
|
6,3 %
|
5,6 %
|
6,2 %
|
Krankheiten des Atmungssystems |
3,4 %
|
2,3 %
|
3,5 %
|
2,3 %
|
Verdauungssystems /Stoffwechselkrankheiten |
4,5 %
|
3,2 %
|
4,5 %
|
3,2 %
|
Krankheiten des Urogenitalsystems |
1,1 %
|
0,8 %
|
1,0 %
|
0,6 %
|
Sonstige Ursachen* |
10,1 %
|
8,0 %
|
9,8 %
|
7,8 %
|
Vergleich der Zugänge, getrennt nach Geschlechtern, für unterschiedliche Diagnosegruppen der Jahre 2010 und 2011(Quelle: Rentenversicherung in Zahlen 2011 u. Rentenversicherung in Zahlen 2012; Statistik der Deutschen Rentenversicherung)
Anhand der Zahlen lässt sich auf den ersten Blick ablesen, dass nicht Unfälle einen wesentlichen Anteil an Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit haben, sondern Krankheiten die Hauptlast tragen. Interessant ist hier, dass nicht die Häufigkeit physischer Beschwerden, sondern die Psyche scheinbar eine erhebliche Rolle spielt, wenn es um die Erwerbsminderung geht. Bereits mit weitem Abstand folgen – sowohl bei Männern wie Frauen – Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und Neubildungen, also Krebs. Einschränkungen im Bereich des Bindegewebes bzw. Muskel-Skelett-Systems sind nur in gut 14 Prozent der Fälle für Renten wegen Erwerbsminderung verantwortlich. Zum Vergleich: Verhaltensstörungen und die Psyche verursachten mehr als 41 Prozent der Rentenzugänge im Jahr 2011.
Betrachtet man allein die ersten drei häufigsten Ursachen für entscheidende Einschränkungen in der Erwerbsfähigkeit, machten diese mit zusammen 68 Prozent mehr als zwei Drittel aller neuen Erwerbsminderungsrenten im Jahr 2011 aus. Spätestens an dieser Stelle muss jedem Verbraucher klar sein, wo die größten Risiken im Alltag warten. Unfälle kommen zwar durchaus in Frage, die eigentlichen Gefahren liegen aber an anderer Stelle – bei den Erkrankungen.
Will man das eigene Risiko bewerten, spielt natürlich nicht nur eine Rolle, was in Bezug auf die allgemeine Entwicklung die größte Gefahr darstellt. Vielmehr kommt es darauf an, die eigene Situation in den richtigen Kontext einzuordnen. Die Übersicht zu den Ursachen der Erwerbsminderungsrente lässt eindeutig erkennen, dass zwischen den Geschlechtern Unterschiede bestehen. Beispielsweise ist das Risiko für Männer, durch Beschwerden mit dem Herz-Kreislaufssystem in der Erwerbsfähigkeit gemindert zu werden, 2,5-fach höher als bei Frauen. Interessant ist darüber hinaus, inwiefern sich die Fallzahlen auf die verschiedenen Altersgruppen verteilen.
|
bis 30 |
30 – 39 |
40 – 49 |
50 – 59 |
60 und älter |
Ø-Alter |
Männer
|
Psyche/Verhaltensstörungen |
1.647
|
4.219
|
10.069
|
14.682
|
2.025
|
48,06
|
Muskel-Skelett-System/Bindegewebe |
55
|
320
|
1.945
|
8.587
|
2.632
|
54,59
|
Neubildungen (Krebs) |
160
|
365
|
2.240
|
7.075
|
1.718
|
53,20
|
Krankheiten des Kreislaufsystems |
69
|
258
|
1.857
|
7.911
|
2.429
|
54,51
|
Krankheiten des Nervensystems |
210
|
565
|
1.530
|
2.420
|
451
|
49,10
|
Krankheiten des Atmungssystems |
6
|
50
|
413
|
2.163
|
596
|
54,88
|
Ernährung/Stoffwechselkrankheiten |
31
|
110
|
458
|
1.333
|
309
|
52,73
|
Frauen
|
Psyche/Verhaltensstörungen |
1.487
|
4.534
|
12.911
|
19.843
|
1.856
|
48,65
|
Muskel-Skelett-System/Bindegewebe |
99
|
473
|
2.141
|
6.917
|
1.543
|
53,27
|
Neubildungen (Krebs) |
150
|
642
|
2.921
|
6.534
|
932
|
51,38
|
Krankheiten des Kreislaufsystems |
61
|
233
|
1.032
|
2.811
|
658
|
52,55
|
Krankheiten des Nervensystems |
280
|
891
|
1.917
|
1.979
|
202
|
46,43
|
Krankheiten des Atmungssystems |
11
|
47
|
312
|
1.340
|
252
|
53,81
|
Ernährung/Stoffwechselkrankheiten |
43
|
112
|
332
|
875
|
163
|
51,39
|
Übersicht zur Altershäufigkeit der 6 häufigsten Ursachen für Rentenzugänge wegen Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit den durchschnittlichen Zugangsaltern für jede Diagnose (Quelle: Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2011; Tabellen 220.01 Z u. 220.02 Z)
Anhand der Übersicht zur Altersverteilung der sechs häufigsten Krankheitsbereiche in der Erwerbsminderungsrente wird deutlich, dass besonders die Altersgruppe zwischen 50 bis 55 Jahre einem besonders großen Risiko ausgesetzt ist. Die überwiegende Mehrzahl der Fälle entwickelt sich in diesem Zeitfenster – auch wenn das durchschnittliche Eintrittsalter zum Beispiel für Nervenleiden wesentlich früher angesiedelt ist.
Wie deutlich der Sprung sein kann, zeigt sich am Beispiel der Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und Bindegewebsschäden. Im Vergleich liegt die Fallzahl bei Männern im Alter zwischen 50 bis 59 Jahre etwa um das Vierfache über jener Häufigkeit in der Lebensdekade davor.
Entwicklung der drei häufigsten Ursachen für eine Erwerbsminderung sowohl bei Männern als auch Frauen in Bezug zum Lebensalter der Betroffenen beim Eintritt in die Erwerbsminderungsrente (Quelle: Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenzugang 2011; Tabellen 220.01 Z u. 220.02 Z)
Ähnlich stellt sich die Situation bei Frauen dar – auch wenn für einige spezielle Ursachen die absoluten Fallzahlen deutlich höher ausfallen. Es muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass zwar geschlechterspezifische Unterschiede auszumachen sind. In Bezug auf die Risikoverteilung lässt die Entwicklung aber ähnliche Schlüsse zu.
Erkrankungen Ursache Nr. 1
Zusammenfassend lassen die Zahlen der Rentenversicherung nur einen Schluss zu: Krankheiten sind die am häufigsten in Erscheinung tretende Ursache für eine verminderte Erwerbsfähigkeit. Angesichts der Tatsache, dass für die gesetzliche Erwerbsminderungsrente die Anspruchsvoraussetzungen strenger ausfallen als im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung, lassen sich für die weitere Vorsorge umfassende Schlüsse ziehen.
Eine private Unfallversicherung stellt – im Zusammenhang mit der Gesamtheit aller Risikobereiche – nur eine Ausschnittsdeckung dar. Wesentliche Bereiche bleiben unberücksichtigt. Nur, wenn Versicherungsnehmer auch das Krankheitsrisiko angemessen würdigen und versichern, kann daraus ein angemessener und risikogerechter Versicherungsschutz entstehen.