Wegeunfall bei geringfügiger Unterbrechung des Arbeitsweges

Hessisches Landessozialgericht – Az. L 3 U 108/15

Unfallversicherung eines Wegeunfalls bei geringfügigen Unterbrechungen der Arbeitswege

Die gesetzliche Unfallversicherung umfasst grundsätzlich nur Unfälle, die während der Ausführung der beruflichen Tätigkeit und/oder auf den Arbeitswegen geschehen. Festgelegt ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Arbeitswege ohne Unterbrechungen absolviert werden müssen. Ergeben sich – infolge des Verschuldens des Versicherten oder auch ohne sein Verschulden – Unterbrechungen, sind diese in der Regel nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt.

Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wann überhaupt von einer Unterbrechung des Arbeitsweges zu sprechen ist. Reicht es bereits aus, das eigene Fahrzeug kurzzeitig zu verlassen, um beispielsweise eine Tür auf- oder zuzuschließen? Oder gehört diese Tätigkeit fest zum jeweiligen Arbeitsweg und ist damit im Versicherungsschutz eingeschlossen?

Der Fall

Mit dieser schwierigen Frage musste sich das Hessische Landessozialgericht beschäftigen. Insbesondere Unfälle auf den Arbeitswegen sind rechtlich gesehen ein schwieriges Feld, und in diesem Fall hatte das Gericht eine weitreichende Entscheidung zu treffen. Hier die genauen Details des zugrunde liegenden Sachverhalts:

Der Kläger, ein 64–jähriger Mann, der als Hausmeister angestellt ist, wollte morgens mit seinem Pkw den Weg zur Arbeit antreten. Um sein Grundstück zu verlassen, musste er dort zunächst sein Hoftor öffnen. Anschließend fuhr er sein Fahrzeug heraus, stoppte und stieg aus, um das Hoftor wieder zu schließen. Infolge winterlicher Verhältnisse und vereister Gehsteige rutschte er dabei aus und zog sich eine schwerwiegende Schulterverletzung zu. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Schulterverletzung versuchte der Kläger bei der Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall geltend zu machen, um entsprechende Leistungen zu erhalten.

Die Berufsgenossenschaft allerdings lehnte die Auszahlung von Leistungen bzw. eine entsprechende Entschädigung ab. Ihre Begründung: Der Betroffene habe den Arbeitsweg durch das Schließen des Hoftores aus privaten Gründen unterbrochen. Er hätte das Tor nicht nebenher bzw. im Vorbeigehen schließen können, somit liege keine geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges vor. Daher sei die gesetzliche Unfallversicherung nicht zur Leistung verpflichtet. Der Geschädigte wollte sich dies nicht gefallen lassen und verklagte die Berufsgenossenschaft.

Der Fall wurde schließlich vor dem Hessischen Landessozialgericht verhandelt. Hier hatte der Kläger mit seinem Ansinnen Erfolg. Das Gericht gab ihm Recht und verurteilte die Berufsgenossenschaft, den Unfall als einen Wegeunfall anzuerkennen.

Dazu stellte das Gericht fest: Die Wegeunfallversicherung als Bestandteil der gesetzlichen Unfallversicherung hat die Aufgabe, den Versicherten insbesondere bei Unfällen zu schützen, die ihm auf Weg zur Arbeit sowie auf dem Rückweg nach Hause passieren. Ein Versicherungsschutz sei hier notwendig, da der Versicherte diese Wege nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse seines Arbeitgebers zurücklegt. Es sei also eine auf die versicherte Tätigkeit bezogene Handlungstendenz vorhanden. Diesbezüglich sei gesetzlich auch ganz klar festgelegt, wann der Versicherten den Weg zur Arbeit beginne – nämlich mit dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes.

Grundsätzlich müsse ab diesem Zeitpunkt der Arbeitsweg direkt und ohne Unterbrechungen absolviert werden. Allerdings stelle das Verlassen des Fahrzeugs zum Schließen des Hoftores eine sogenannte eingeschlossene Verrichtung dar, die in gesetzlicher Hinsicht als geringfügige Unterbrechung des Arbeitsweges anerkannt werden könnte. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund der Fall, dass das Schließen des Hoftores in einem inneren Zusammenhang mit dem Zurücklegen des Weges zur Arbeit stehe.

Generell, so die Richter am Landessozialgericht Hessen weiter, könnten besonders kurze und geringfügige Unterbrechungen des Arbeitsweges diesen Zusammenhang nicht beseitigen, auch dann nicht, wenn sie aus einem eigenwirtschaftlichen Interesse erfolgten. Im hier vorliegenden Fall betrage der Weg vom Fahrzeug zum Hoftor nur wenige Meter, so dass das Schließen des Tores maximal 30 Sekunden gedauert haben könne. Daher könne von einer versicherungsschädlichen Zäsur des Weges zur Arbeit im hier vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Berücksichtigt werden müsse zudem, dass der Geschädigte seinen Arbeitsweg tagtäglich in der gleichen Art und Weise zurücklege, zu der auch das Schließen des Hoftors gehöre. Die Lage stellte sich anders dar, wenn der Kläger beispielsweise etwas im Haus vergessen und deswegen seinen Arbeitsweg unterbrochen hätte.

Rechtliche Würdigung

Meinung zum Urteil: Bemerkenswert sind in der Urteilsbegründung durch die Richter am Hessischen Landessozialgericht die Feinheiten. Man beachte dabei insbesondere den letzten Satz. Es spielt durchaus eine Rolle, ob der Versicherte eine geringfügige Unterbrechung seines Arbeitsweges täglich in der gleichen Art und Weise vornimmt, oder ob dies quasi ein Einzel- bzw. Sonderfall bleibt. Gleichermaßen achtet das Gericht darauf, wie lange die geringfügige Unterbrechung dauert. Ein Zeitraum von 30 Sekunden hält das Gericht im hier vorliegenden Fall für angemessen.

Die Entscheidung der Richter dürfte bei vielen Versicherten und auch bei Rechtsexperten auf Zustimmung stoßen. Schließlich ist es in der heutigen Zeit durchaus notwendig, das eigene Grundstück insofern zu sichern, dass das Hoftor direkt nach Verlassen des Grundstücks wieder geschlossen wird. Fällt diese Notwendigkeit mit dem morgendlichen Arbeitsweg zusammen, so ist es durchaus logisch, dass der Betroffene hierbei auch dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterworfen ist.